Kühne-Höhrmann: Aus meiner Sicht ist die Signalwirkung des Entwurfs zum jetzigen Zeitpunkt be-denklich, da der Entwurf in dieser Form gerade die durch die Corona-Pandemie stark herausgeforderte Wirtschaft angreift.
Das Motiv einer „pauschalen Kriminalisierung“ möchte ich aber trotz aller berechtigten Kritik an dem Gesetzesentwurf nicht unterstellen. Unbestritten ist, dass es unser ge-meinsames Ziel sein sollte, die Wirtschaft und deren Integrität zu stärken. Der Abgas-Skandal und jüngst der Wirecard-Skandal haben doch einen faden Beigeschmack hinterlassen. Diese Straftaten schädigen sowohl das einzelne Unternehmen als auch den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt. Deswegen ist die konsequente Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität sehr wichtig.
Dieses Ziel will auch der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft verfolgen. Er geht allerdings hieran vorbei, ist übereilt und unausgereift.
R: Sowohl Shareholder als auch Mitarbeiter müssten durch die vorgesehene „Verbandstat“ die Folgen von Straftaten Einzelner tragen. Wie stehen Sie zu so einer schuldlosen Bestrafung?
K-H: Wir müssen an dieser Stelle zwei Punkte trennen. Zunächst stellt sich die juristi-sche Frage, wer für wessen Fehlverhalten innerhalb eines Unternehmens strafrechtlich einzustehen hat. Die zweite Frage ist, wer faktisch, also finanziell die Folgen einer Verbandssanktion trägt.
Richtig ist, dass das Konstrukt der „Verbandstat“ ohne Frage in Konkurrenz mit dem Verfassungsprinzip „keine Strafe ohne Schuld“ steht. Der Regierungsentwurf stellt im Falle der Zurechnung einer Verbandstat, die nicht von Leitungspersonen selbst begangen wurde, gerade nicht auf das Erfordernis einer eigenen Verantwortlichkeit dieser Leitungsperson ab. Dies wäre vor dem Hintergrund des Schuldprinzips aber verfassungsrechtlich geboten. Dieser Auffassung folgt auch der Bundesrat, der diesen Kritikpunkt in die Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf aufgenommen hat.
Voraussetzungen einer wie auch immer gearteten Sanktionierung eines Verbandes muss deshalb zwei Aspekte sein: Die Begehung einer Verbandstat und die Möglich-keit, diese durch angemessene Vorkehrungen zu verhindern, sowie das Verschulden einer Leitungsperson. Nur bei Vorliegen aller dieser Voraussetzungen ist es meines Erachtens gerechtfertigt, eine Verbandssanktion zu verhängen.
Nur hierdurch kann auch dem Grundsatz „keine Strafe ohne Schuld“ Rechnung getragen werden. Dies gilt umso mehr, als die Bundesministerin der Justiz in dem Regierungsentwurf insoweit eine – meines Erachtens völlig unnötige – Abkehr vom Ordnungswidrigkeitenrecht vollzogen hat.
Die Bundesjustizministerin ist daher jetzt dazu aufgerufen, den Gesetzentwurf entsprechend nachzubessern oder – besser noch – zugunsten einer sorgfältig und unter ernst gemeinter Beteiligung der Länder und anderer Interessensträger zu erarbeitenden Alternative zurückzuziehen. Deswegen haben wir vonseiten der Justizministerinnen und Justizminister der Union, aber auch anderer Ressorts, dazu aufgerufen, den Gesetzentwurf nachzubessern, unter anderem in einem gemeinsamen Brief an die Bundeskanzlerin.
Ein weiterer Kritikpunkt von mir ist, dass die Sanktion wirtschaftlich letztlich nicht von den verantwortlichen Tätern getragen werden muss. Häufig müssen diese sogar das Unternehmen verlassen. Vielmehr verbleibt die „Zeche“ in dem Unternehmen und ist von den redlichen Mitarbeitern, Gesellschaftern und Aktionären, die dem Unternehmen über die Taten hinaus erhalten bleiben, zu zahlen. Und dies betrifft vor allem den Mittelstand.
R: Finden Sie es richtig, dass betroffenen Unternehmen neben der Geldstrafe auch noch eine Brandmarkung durch Veröffentlichung droht?
K-H: Auch hier ist meines Erachtens zu differenzieren: Einerseits ist die Veröffentli-chung von gerichtlichen Entscheidungen gegen Unternehmen nichts Neues. Vorschriften, die eine öffentliche Bekanntmachung vorsehen, finden sich bereits im Bereich der kapitalmarktrechtlichen Regelungen des Börsengesetzes und des Wertpapierhandelsgesetzes.
Andererseits darf das Ziel der Veröffentlichung einer gerichtlichen Entscheidung nicht sein, die betroffenen Unternehmen zu brandmarken. Ich bin der Überzeugung, dass das Interesse der Verletzten und weiterer Betroffener es gebieten kann, eine Verurteilung allgemein oder einem bestimmten Kreis von Betroffenen bekannt zu geben.
Hier wäre die präzise Erarbeitung einer Vorschrift von Nöten, die dieses Ziel erreicht, ohne eine – von mir abgelehnte – Prangerwirkung zu entfalten.
Völlig missraten und verfassungsrechtlich bedenklich hingegen ist die entsprechende Vorschrift im Kontext des Gesetzentwurfs der Bundesjustizministerin. Denn schaut man es sich einmal genau an, soll von der Bekanntmachung dann abgesehen werden können, wenn das Unternehmen - kurz gesagt - mit den Verfolgungsbehörden kooperiert. Hierdurch soll meines Erachtens ein unzulässiger Zwang zur Kooperation auf die Unternehmen ausgeübt werden.
R: Im Falle einer Verurteilung sollen den Unternehmen neben der Gewinnab-schöpfung zusätzlich Geldsanktionen in Höhe von bis zu 10 Prozent ihres jährli-chen Gesamtumsatzes auferlegt werden können. Halten Sie Strafen in diesem Umfang für gerechtfertigt?
K-H: Lediglich für Unternehmen mit einem Konzernumsatz von mehr als einhundert Millionen Euro ist eine umsatzbezogene Obergrenze von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes vorgesehen. Für kleinere Unternehmen würde die Sanktion maximal zehn Millionen Euro betragen.
Für einen multinationalen Konzern mit Milliardenumsätzen bedeutet eine maximale Geldbuße von zehn Millionen Euro nicht dasselbe wie für ein kleines oder mittelständisches Unternehmen, das mit diesem Konzern gegebenenfalls am Markt konkurriert. Eine wirksame Abschreckung muss aber auch für umsatzstarke Unternehmen bestehen. Dass diese im Einzelfall durch Geldbußen bis zu zehn Millionen Euro unter Umständen nur schwer zu beeindrucken sein könnten und die solche Geldbußen unter Umständen als hinnehmbares Risiko einkalkulieren könnten, ist nicht fernliegend. An dieser Stelle muss deshalb eine Belastungsgleichheit auch für große Unternehmen und multinationale Konzerne bestehen.
Kleine und mittelständische Unternehmen dürften von dieser Regelung hingegen nicht betroffen werden.
R: Welchen Reformbedarf sehen Sie bei der derzeitigen Gesetzeslage?
K-H: Ich habe es eingangs schon gesagt: Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, die Wirtschaft und deren Integrität zu stärken.
Das derzeit im Wesentlichen im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten zu findende Recht der Sanktionierung von Verbänden bedarf zwar der Überarbeitung, was aber – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf die Wirtschaft und insbesondere auf kleinere und mittlere Unternehmen – in einer behutsamen und umsichtigen Vorgehensweise passieren muss.
Wir haben in diesem Bereich über Jahrzehnte gute Erfahrungen mit dem im Ord-nungswidrigkeitenrecht geltenden Opportunitätsprinzip gemacht, das es den Verfol-gungsbehörden ermöglicht, in Fällen, in denen nach pflichtgemäßem Ermessen eine Ahndung nicht erforderlich erscheint, von der Einleitung eines Bußgeldverfahrens abzusehen. Der den Verfolgungsbehörden eingeräumte Ermessenspielraum hat sich in der Praxis bewährt und wurde insbesondere von den Staatsanwaltschaften in Hessen immer verantwortungsvoll und mit Augenmaß genutzt. Diese flexible Lösung würde es im Gesetzesentwurf nicht mehr geben.
R: Welchen Tipp geben Sie Unternehmern, die etwas gegen den Entwurf unter-nehmen möchten.
Wenden Sie sich an die Entscheidungsträger. Erklären Sie, was der Entwurf in der Praxis für Ihr Unternehmen bedeutet und welchem Belastungen Sie durch das Gesetz ausgesetzt wären. Ganz generell: Alle Entscheidungsträger aus der Politik, sind abhängig davon, konkrete Beispiele aus der Praxis zu bekommen. Nur dann können sachgerechte Entscheidungen getroffen werden.
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